Ordnungswidrigkeitenrecht: Amtsgericht Mannheim: Messung Blitzersäule nicht verwertbar!

In Deutschland sind tausende stationärer und mobiler Messgeräte im Einsatz, eines davon bei uns in Chemnitz auf der Zwickauer Straße. Bei dieser Blitzersäule handelt es sich um das Messgerät PoliScan Speed, welches sowohl Geschwindigkeitsüberschreitungen als auch Rotlichtverstöße erfassen soll. Tausende Chemnitzer haben die Ergebnisse in Form eines Verwarn – oder Bußgeldes kennengelernt.

Einsprüche wurden von den Behörden oder Gerichten regelmäßig zurückgewiesen. Dies auch mit dem Argument, bei den Messungen handele es sich um sogenannte „standardisierte Messverfahren”. Die Zulassung des Messgerätes durch die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) spreche per se für die Richtigkeit der Messergebnisse. Eine weitergehende, auch sachverständige Überprüfung sei nur geboten, wenn der Betroffene begründete Zweifel an der Messung erheben könnte. Das war den Betroffenen in der Vergangenheit so gut wie nie möglich. Dies auch deswegen, weil die Arbeitsweise der Blitzersäule geheim gehalten wurde. So konnten noch nicht einmal Sachverständige die Messvorgänge auf Fehlerfreiheit überprüfen. In einem Rechtsstaat nach unserer Auffassung alle Mal ein skandalöser Standpunkt.

Jetzt hat das Amtsgericht Mannheim eine mutige Entscheidung getroffen und nach sachverständiger Beratung ein Bußgeldverfahren eingestellt. Denn entgegen jahrelanger Beteuerung der Herstellerfirma und der PTB gibt es scheinbar doch Unstimmigkeiten und Abweichungen bei den Messungen. Zudem hielt es das Amtsgericht Mannheim für inakzeptabel, im Nachhinein eine Messung mit dem PoliScan – Messgerät nicht mehr eingehend überprüfen zu können.

Setzt sich die Rechtsauffassung des Amtsgerichtes Mannheim durch, wofür viel spricht und wofür es zu kämpfen lohnt, waren in der Vergangenheit unzählige Verwarn – und Bußgelder oder gar Fahrverbote rechtswidrig.

Wir können nur allen Betroffenen anraten und sie auffordern, sich zu wehren. Jederzeit stehen wir Ihnen zur Verfügung.

Das Urteil des Amtsgerichtes Mannheim hat folgenden Originaltext:

21 OWi 509 Js 35740/15

Amtsgericht Mannheim

Beschluss

in dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat das Amtsgericht Mannheim durch die Richterin am Amtsgericht pp. am 29.11.2016 beschlossen:

Das Bußgeldverfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, da das Gericht eine Ahndung nicht für geboten hält.

Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse. Die eigenen notwendigen Auslagen trägt die Betroffene selbst.

Gründe:

Der Betroffenen lag mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums, Zentrale Bußgeldstelle vom 25.08.2015 eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB 61 Richtung Heilbronn zur Last, die mit einer Geldbuße von 80 EUR geahndet werden sollte.

Die Messung erfolgte mit einem Lasergerät der Firma Vitronic PoliScan Speed PS 629690 – 231291 239.

Diese Messmethode hat unter anderem das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 24.10.2014 ( Aktenzeichen 2 ( 7 ) SsBs 454 14, 2 ( 7 ) 454 / 14 – AK 138 / 14) als sogenanntes standardisiertes Messverfahren bezeichnet. Es ergäbe sich jedenfalls dann kein Anhaltspunkt für eine Fehlmessung, wenn sich aus der Diskrepanz zwischen dem Messergebnis und dem Wert aus der Berechnung der Zusatzdaten keine Abweichung außerhalb der Verkehrsfehlergrenze ergäbe.

Die durchgeführte Beweisaufnahme ergab aber vorliegend, dass es aufgrund der Durchführung der Messung durchaus Abweichungen oberhalb der Verkehrsfehlergrenze geben kann, ohne dass dies auf die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Messwertbildung Einfluss nehmen müsste, so der sachverständige Zeuge Dr. H.F. von der Herstellerfirma.

Allgemein wird angenommen, dass ein standardisiertes Verfahren vorliegt, wenn die Bedingungen der Anwendbarkeit und der Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Dass Abweichungen bei der Referenzstrecke der PTB in einem Größenbereich von plus / minus 3 Prozent vorkommen können, gab der Sachverständige Dipl. Physiker J.K. bekannt. Zu dem Ergebnis, dass bei der hier konkret zu beurteilenden Messreihe in der Spitze eine Abweichung von 5,57 Prozent vorn Messwert zum Nachteil des gemessenen Fahrzeugs vorkam, bestätigte der Sachverständige Dipl.-Ing. R.B.

Jedenfalls war ursprünglich wohl angedacht, eine ( neue ) Messmethode gerichtlich einer Überprüfung zuzuführen und im Falle, sie bewähre sich im Alltag, die Beweisaufnahme nur noch im reduziertem Umfang zu verlangen. Daraus wurde mit Einführung der Digitalisierung und dem herbeigeführten Mangel an Plausibilisierungsmöglichkeiten, beispielsweise den Annulierungsraten, ein System eingeführt, dass dem Betroffenen eine Beweislastumkehr verbunden mit einer Beweismittelzugangsverhinderung gleichkommt.

Dies gilt jedoch nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für den Richter. Er sieht sich einer Situation gegenüber, die ihm bei einem standardisierten Verfahren eine Beweisführung faktisch unmöglich macht. Er selbst kann nur auf die Arbeit der PTB vertrauen, denn „ mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass bei dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes ( technisches ) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.” Dann jedoch gilt nach OLG Karlsruhe ( aaO ), dass eine nähere Überprüfung nur geboten ist, wenn im konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Fehlmessung gegeben sind. Um derartige Umstände zu finden, braucht es aber der Sachkunde, über die weder das Gericht, noch in der Regel der Betroffene und sein Verteidiger verfügen. Das bedeutet im Ergebnis, die Bauartzulassung der PTB ersetzt die gerichtliche Prüfung in einer dem Prozessrecht unterliegenden Beweisaufnahme.

Dies verschärft sich noch, folgt man dem Oberlandesgericht Frankfurt ( zitiert in beck Beschluss vom 26.08.2016, Aktenzeichen 2 Ss OWi 589/16 ), dass der einzelne Betroffene aus datenschutzrechtlichen Gründen keinen Anspruch auf die Beiziehung der kompletten Messreihe habe,

Denn es gibt Fehlerquellen, die sich erst bei der Auswertung eben jener zeigen, so die bereits beschriebenen Abweichungen hinsichtlich der Verkehrsfehlergrenze.

Eine weitere mögliche Fehlerquelle erfordert ebenfalls die Beurteilung mehrerer Messungen über die Einzelmessung hinaus.

Nach Auffassung vieler Oberlandesgerichte gibt die Prüfung und Zulassung durch die PTB die Sicherheit, dass eine zuverlässige Messung erfolgt. Es gibt jedoch Umstände, die den Sachverständigen Dipl. Phys. K. zu keiner Antwort auf die Frage veranlasste, ob angesichts dieser noch zu erörternden Umstände er die Korrektheit der Messwertbildung bejahen könnte.

Die Messwertbildung findet dergestalt statt, dass die vom LIDAR – Messwertaufnehmer aufgenommenen Rohdaten im Messrechner zunächst als einzelne Objektpunkte zu Objekten, also Fahrzeugmodellen gebündelt werden. Sie werden innerhalb des Messbereichs verfolgt, um die Fahrzeuggeschwindigkeit zu ermitteln. Für jedes Fahrzeug ergibt sich dabei als Geschwindigkeitsmesswert eine mittlere Geschwindigkeit im Messbereich.

Dabei sind die Objektpunkte gemessene Werte, die Entfernungswerte der daraus gebildeten Objekte berechnete Werte.

Der implantierte Messalgorithmus, über den die Messwertbildung erfolgt, betrachtet dabei den Messbereich, den die Bauartzulassung mit 20 bis 50 Meter angibt. Im Vorfeld und Nachfeld werden jedoch ebenso Rohdaten erfasst, die Eingang in die Messwertbildung finden, indem sie, vom Messalgorithmus nicht dahingehend geprüft sind, ob sie im Messbereich erfasst wurden und erst dort zu Objekten gebündelt wurden. Das bedeutet, das Gerät prüft im zugelassenen Messbereich nicht, ob originäre Messwerte ( Weg – und Zeitangaben } oder bereits veränderte, geglättete, angepasste oder korrigierte Daten zur Messwertbildung beitragen. Wie bereits ausgeführt, konnte der Vertreter der PTB die Frage, ob diese Art der Messwertbildung korrekt ist und zuverlässige Ergebnisse erbringt, mit anderen Worten, wie sich diese Tatsache tatsächlich auswirkt oder auswirken kann, nicht beantworten.

Sie widerspricht jedenfalls der Bauartzulassung, wenn dort ausgeführt wird, dass außerhalb des Messbereichs detektierte Objektpunkte bei der Messwertbildung nicht berücksichtigt werden.

Um die Größenordnung der Abweichungen, die vorkommen, zu nennen: die PTB gab diese im Juni 2016 mit 0,5 bis 1 Meter an, der Sachverständige Dipl., Ing. B. fand in der hier gegenständlichen Messreihe bei 5,2 Prozent der Messungen Abweichung über 50 Metern und bei 53 Prozent der Messungen Unterschreitung der 20 Meter. Die bis bekannte höchste Abweichung betrug 2,68 Meter.

Dies bedeutet im Ergebnis, das Messgerät entspricht nicht der Bauartzulassung in wesentlichen Teilen, nämlich der Messwertermittlung. Oder umgekehrt, das Gerät misst anders als in der Bauartzulassung beschrieben.

Daraus ergibt sich auch, dass bei jeder einzelnen Messung zu prüfen ist, ob die zur konkreten Messwertbildung beitragenden Rohdaten die Bedingungen der Bauartzulassung einhalten oder nicht.

Diese Umstände wecken Zweifel, insbesondere, da es weder dem sachverständigen Zeugen Dr. F. von der Firma Vitronic noch dem Sachverständigen Dipl Phys. K. gelang darzutun, ob und wenn ja, inwieweit die Abweichungen Einfluss auf den ermittelten Messwert haben.

Bedenklich erscheint die Aussage der PTB: „ Die in der Falldatei enthaltenen Rohdaten stellen Hilfsgrößen dar. Eine Auswertung dieser Hilfsgrößen kann für eine externe, nachträgliche Plausibilisierung des geeichten Geschwindigkeitsmesswerts herangezogen werden. Diese nachträgliche Plausibilisierung darf aber nicht überbewertet werden, denn die Hilfsgrößen bzw. eine Auswertung der Hilfswerte und die damit verbundenen Fehlereinflüsse wurden einerseits nicht im Rahmen der Bauartzulassung geprüft und bewertet.

Selbst bei gültigen Messungen ist es denkbar, dass der mittels Rohdaten bestimmte Geschwindigkeitsmesswert mehr als die Verkehrsfehlergrenzen vom geeichten Geschwindigkeitswert abweicht.

Wie ausgeführt, tragen diese Rohdaten zur Messwertbildung bei ( entgegen der Bauartzulassung).

Abschnitt 11 zu EO 18 – 11 limitiert die Verkehrsfehlergrenzen.§ 37 Abs. 2 MessEG führt § 13 Abs. 1 EO fort, Danach endet die Eichfrist unbeschadet der Ursache und Häufigkeit der Nichteinhaltung der Verkehrsfehlergrenzen.

Solange die PTB die im Raum stehenden Fragen nicht hinreichend beantwortet, ist dem Gericht eine Entscheidung nicht möglich.

Thomas Schulte LL. M.
Rechtsanwalt


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