Sozialrecht: Stellt die Kündigung des Jobs wegen Unvereinbarkeit mit der Pflege eines Angehörigen ein sozialwidriges Verhalten dar?

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat im Dezember vorigen Jahres einen Fall entschieden, wo die Rückforderung von über 7.000 € an Hartz-IV-Leistungen im Raum stand.
Die Hartz-IV-Empfängerin, die aufstockend Leistungen vom Jobcenter erhielt, lebte mit ihrer schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Sie arbeitete in Vollzeit als Hallenaufsicht am Bremer Flughafen, wollte Stewardess werden. Darüber hinaus kümmerte sie sich um die Pflege ihrer Mutter.
Nachdem sich der Gesundheitszustand der Mutter verschlechtert hatte, konnte die Frau ihre Arbeit am Flughafen und die Pflege nicht mehr vereinbaren. Das bestehende Arbeitsverhältnis wurde deshalb durch Aufhebungsvertrag beendet.

Das Jobcenter bewertete die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nun als sozialwidriges Verhalten der Frau und forderte über 7.000 € von ihr zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Frau schon bei Abschluss des Arbeitsvertrages gewusst hätte, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und ein Umzug nicht möglich sei.
Zudem hätte die Mutter der Frau die Pflegestufe 2 und die Tochter müsse sich ja nicht selbst um die Pflege kümmern, dies könnte auch ein Pflegedienst übernehmen. Das Arbeitsverhältnis hätte die Frau ja fortführen können, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wäre zumindest grob fahrlässig.

Letztlich landete der Fall vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, was in dem Verhalten der Frau kein sozialwidriges Verhalten gesehen hat.
Es wurde ausdrücklich betont, dass immer die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Verwiesen wurde auf § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II, wo geregelt ist, dass einer erwerbsfähigen Person jede Arbeit zumutbar ist, es sei denn, dass die Ausübung der Arbeit mit der Pflege einer oder eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann.
Demnach gehört die Pflege von Angehörigen zu den familiären Pflichten, die eine Arbeitsaufnahme unzumutbar machen können.
Das Gericht hat in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt, dass der Begriff der Pflege nicht an einen bestimmten Grad der Pflegebedürftigkeit festgemacht werden kann. Es wäre auch durchaus denkbar, dass eine Arbeit mit der Pflege unvereinbar erscheint, wenn ein Angehöriger ohne einen Pflegegrad gepflegt wird. Allerdings ist hier beachtlich, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit dann zumutbar ist, wenn der pflegerische Aufwand keinen Umfang erreicht, der Leistungen aus der Pflegekasse begründet.
Auch wenn Leistungen aus der Pflegeversicherung, konkret der damaligen Pflegestufe 2 gewährt werden, können noch Arbeitszeiten von bis zu 6 Stunden am Tag zumutbar sein.
Im konkreten Fall der Frau war dies jedoch nicht möglich, da sie im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten gearbeitet hat. Die jeweiligen Einsatzzeiten wurden immer erst 4 Tage vor dem Einsatz mitgeteilt.
Die Mutter musste dreimal am Tag gepflegt werden, dies war mit der Arbeit der Frau nicht zu vereinbaren.
Das Gericht hat auch noch einmal ganz deutlich darauf hingewiesen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Mutter zu berücksichtigen ist, die einen Pflegedienst abgelehnt und nur ihre Tochter als Pflegerin akzeptierte.
Es lag mithin kein sozialwidriges Verhalten vor, so dass auch die Rückforderung nicht berechtigt war (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Aktenzeichen: L 13 AS 162/17).

Schulte Anwaltskanzlei
Antje Schmidt
Fachanwältin für Sozialrecht


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