Arbeitsrecht: Kann eine Arbeitgeberkündigung im Kleinbetrieb unwirksam sein?

Arbeitnehmer genießen in Deutschland weitgehenden Kündigungsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Dieser Kündigungsschutz greift aber erst ein in Betrieben, die regelmäßig mehr als 10 Vollzeitarbeitnehmer beschäftigen. Was ist also in Betrieben mit weniger als 10 Vollzeitarbeitnehmern, sogenannten Kleinbetrieben?

Mit dieser Frage durfte sich jetzt erneut das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 05.12.2019, Aktenzeichen 2 AZR 107/19, auseinandersetzen. Worum ging es? Bei der beklagten Arbeitgeberin war die Klägerin als Kinderfrau/Nanny beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte im Januar 2017 das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich. Dagegen hatte die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Dies mit der Begründung, die Kündigungen seien sitten- und treuwidrig. Zu den Kündigungen sei es gekommen, weil der Beklagten von einer Zeugin wahrheitswidrig mitgeteilt worden sei, die Klägerin habe behauptet, die Beklagte sei nie zu Hause, schließe sich immer in ihrem Zimmer ein und esse, wenn sie einmal daheim sei, nur Schokolade mit ihrer Tochter. Die Beklagte habe sich deshalb von der Klägerin in ihrer Mutterrolle kritisiert und in ihrer Eitelkeit verletzt gefühlt, obwohl sie gewusst habe, dass diese Behauptungen im Kern wahr und deshalb von der Meinungsfreiheit gedeckt sein. Die Beklagte habe sich aus Rachsucht und um Mittel für eine Anstellung freizumachen nicht mit einer ordentlichen Kündigung begnügen, sondern sich fristlos von der Klägerin trennen wollen. Da ihr bewusst gewesen sei, dass die vermeintlichen Äußerungen der Klägerin keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bildeten, habe die Beklagte weitere, wahrheitswidrige und vertraulich verletzende Äußerungen der Klägerin sowie Kindesmissbrauch durch die Klägerin ersonnen und zum Beweis dieser frei erfundenen Kündigungsgründe im Prozess eine Zeugin benannt. Damit sei das „Kündigungverhalten“ der Beklagten mit der Folge sittenwidrig, dass die „gesamte Kündigung“ nichtig sei. Das Erfinden von Gründen, um die außerordentliche Kündigung zu stützen, schlage auf die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung durch. Das Kündigungsverhalten sei inakzeptabel, indiziere eine sittenwidrige Gesinnung.

Die Beklagte hingegen erklärte, die Klägerin habe sich mehrfach erheblich fehlverhalten gegenüber der von ihr betreuten Tochter der Beklagten. Nach zahlreichen Indiskretionen und Missständen auch in Bezug auf das Kindeswohl hätten die Kündigungen ausgesprochen werden müssen.
Dazu führte das Bundesarbeitsgericht unter anderem aus:

„I. Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig iSv. § 138 Abs. 1 BGB, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Verstößt das Rechtsgeschäft – wie eine an sich neutrale Kündigung (BAG 21.03.1980 – 7 AZR 314/78 – zu II 3 der Gründe) – nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, welches diesem zum Vorwurf gemacht werden kann. Hierfür genügt es im Allgemeinen nicht, dass vertragliche Pflichten verletzt werden. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung ergeben kann (BGH 16. Juli 2019 – II ZR 426/17 – Rn. 24).

II. Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind (BAG 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 41).

III. Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ist der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen (BAG 19. Oktober 2017 – 8 AZR 845/15 – Rn. 20, BAGE 160, 337). Der durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelte verfassungsrechtliche Schutz ist allerdings umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – zu B I 3 b cc der Gründe, BVerfGE 97, 169; BAG 5. November 2009 – 2 AZR 383/08 – Rn. 24).“.

Daran gemessen war nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes die allein noch streitgegenständliche, ordentliche Kündigung weder Sitten-noch treuwidrig. Dazu heißt es:
„ a) Der Willkürvorwurf scheidet aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt (BAG 28. August 2003 – 2 AZR 333/02 – zu B III 1 b der Gründe). Ein solcher ist bei einem auf konkreten Umständen beruhenden Vertrauensverlust grundsätzlich auch dann gegeben, wenn die Tatsachen objektiv nicht verifizierbar sind (vgl. BAG 25. April 2001 – 5 AZR 360/99 – zu II 4 b der Gründe). Unstreitig hat die Zeugin B der Beklagten mitgeteilt, dass die Klägerin behaupte, sie – die Beklagte – sei nie zu Hause, schließe sich andernfalls immer in ihrem Zimmer ein und esse, wenn sie doch einmal daheim sei, nur Schokolade mit ihrer Tochter. Dass die Beklagte nicht weiter – vermeintlicher – Kritik betreffend ihre Mutterrolle durch eine in ihrem Haushalt beschäftigte Arbeitnehmerin ausgesetzt sein wollte, ist verständlich und hat mit Rachsucht oder Vergeltung (vgl. dazu BAG 9. Mai 1996 – 2 AZR 128/95 – zu II 6 der Gründe) nichts zu tun.

b) Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die der Beklagten zugetragenen Äußerungen – wären sie so gefallen – als wahre Tatsachenbehauptungen und/oder Meinungsbekundungen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG fielen. Jedenfalls könnte – zumal angesichts der grundrechtlich geschützten Positionen der Beklagten – von einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Meinungsfreiheit der Klägerin keine Rede sein. Ihr wird nicht jede kritische Äußerung über die Beklagte und deren Umgang mit ihrem Kind verboten. Die Klägerin muss es lediglich hinnehmen, dass sie derartige Kritik nicht – erneut – aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus vorbringen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis überwiegend in dem durch Art. 13 Abs. 1 GG besonders geschützten Bereich der „räumlichen Privatsphäre“ der Beklagten durchgeführt werden sollte und die ihr über die Zeugin B zugetragenen – vermeintlichen – Äußerungen der Klägerin das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte elterliche Erziehungsrecht betrafen.

c) Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB kommt es hingegen nicht darauf an, ob die Klägerin durch die der Beklagten zugetragenen Äußerungen – unterstellt sie wären so gefallen – gegen ihre aus § 241 Abs. 2 BGB folgende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Belange der Beklagten verstieß und ob ggf. eine solche Pflichtverletzung eine am Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG zu messende verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen vermöchte. Im Gegenteil kann die Berechtigung von Gründen, die unter Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes als solche im Verhalten der Klägerin gewertet werden könnten, auf der Grundlage allein der zivilrechtlichen Generalklauseln gerade nicht nachgeprüft werden (vgl. BAG 28. September 1972 – 2 AZR 469/71 – zu IV der Gründe, BAGE 24, 438).

d) Die ordentliche Kündigung stellt sich nicht deshalb als sitten- oder doch treuwidrig dar, weil der Klägerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen gegeben wurde. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist – außer bei einer Verdachtskündigung im Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 KSchG – keine Wirksamkeitsvoraussetzung (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – Rn. 33).

e) Die Beklagte hat sich mit dem Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht iSv. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich selbstwidersprüchlich verhalten (zu den Anforderungen vgl. BAG 23. Januar 2018 – 3 AZR 448/16 – Rn. 38, BAGE 161, 335). Durch das Inaussichtstellen eines unbefristeten Arbeitsvertrags ist schon kein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Die Beklagte hätte auch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis aufgrund der Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG ohne das Erfordernis einer besonderen Rechtfertigung ordentlich kündigen können.“.

Eine im Ergebnis harte, aber auch nachvollziehbare Entscheidung. Gerade in Kleinbetrieben müssen Arbeitnehmer zu Recht aufpassen, was sie behaupten. Sie müssen gegenüber dem Arbeitgeber loyal sein, sollen das Arbeitsverhältnis nicht gefährden.

Wenn Sie mit derartigen Fragestellungen konfrontiert werden, melden Sie sich bitte bei der Schulte Anwaltskanzlei, Rechtsanwalt Thomas Schulte LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht, Clausstraße 72, 09126 Chemnitz.

Schulte Anwaltskanzlei
Thomas Schulte LL.M.
Fachanwalt für Arbeitsrecht


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