Sozialrecht: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirk-ungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II sind teilweise verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat am 05.11.2019 zur Verfassungsmäßigkeit der im SGB II vorgesehenen Sanktionen bei Verletzung der Mitwirkungspflichten entschieden.
Demnach kann der Gesetzgeber erwerbsfähigen Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II auch zumutbare Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit auferlegen. Er darf die Verletzung solcher Pflichten sanktionieren, indem vorübergehend staatliche Leistungen entzogen werden. Da es hier um einen erheblichen Eingriff geht, gelten für eine solche Sanktionierung strenge Anforderungen der Verhältnis-mäßigkeit. Es müsse dem Betroffenen auch möglich sein, in zumutbarer Weise wieder die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Leistung nach einer Minderung wieder fließt.
Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 05.11.2019 zwar die Höhe einer Leistungsminderung von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs bei Verletzung bestimmter Mitwirkungs-pflichten nicht beanstandet.
Allerdings hat er auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse die Sanktionen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, soweit die Minderung nach wieder-holten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt oder zu einem vollständigen Wegfall der Leistungen führt.
Nach § 31 Abs. 1 SGB II verletzen erwerbsfähige Empfänger von Arbeitslosengeld II, die keinen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen, ihre Pflichten,

- wenn sie sich trotz Rechtsfolgenbelehrung nicht an die Eingliederungsvereinbarung halten,
- wenn sie sich weigern eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
- oder wenn sie eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.

Rechtsfolge der Pflichtverletzungen ist die Minderung des Arbeitslosengeldes II in der ersten Stufe um 30 % des Regelbedarfs, bei der zweiten Pflichtverletzung mindert sich der Regelbedarf um 60 %, bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Die Dauer der Kürzung beträgt jeweils 3 Monate.
Sowohl an der Leistungsminderung in Höhe von 60 % des maßgebenden Regelbedarfs hat das Bundesverfassungsgericht erhebliche Zweifel angemeldet, den völligen Wegfall der Leistungen hat es als verfassungswidrig bewertet.

Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung bleibt die jetzt nicht beanstandete Leistungsminderung in Höhe von 30 % mit der Maßgabe anwendbar, dass eine Sanktionierung nicht erfolgen muss, wenn dies im konkreten Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde.
Die gesetzlichen Regelung zur Leistungsminderung um 60 % bzw. zum vollständigen Leistungsentzug sind bis zur Neuregelung dergestalt anwendbar, das wegen wieder-holter Pflichtverletzung eine Leistungsminderung nicht über 30 % des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen darf und von einer Sanktionierung auch abgesehen werden kann, wenn dies zu einer außergewöhnlichen Härte führt.
Was die im Gesetz zwingend vorgeschriebene 3-monatige Dauer des Leistungsentzuges anbelangt, ist bis zu einer Neuregelung die Anwendung soweit eingeschränkt, dass die Behörde die Leistung wieder erbringen kann, sobald die Mitwirkungspflicht erfüllt wird oder der Leistungs-berechtigte sich ernsthaft und nachhaltig bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen (vgl. Urteil Bundesverfassungsgericht vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16).

Schulte Anwaltskanzlei
Antje Schmidt
Fachanwältin für Sozialrecht


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