Sozialrecht: Ist der Wegfall des Kindergeldes für ein erwachsenes behindertes Kind gerechtfertigt?

Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG haben Eltern eines erwachsenen Menschen mit Behinderung Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
Außerstande sich selbst zu unterhalten, ist ein behindertes Kind, wenn es ihm aufgrund der Behinderung unmöglich ist, seinen Lebensbedarf durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Hiervon geht man regelmäßig aus, wenn im Schwerbehindertenausweis des Kindes das Merkmal „H“ (hilflos) eingetragen ist oder das Kind in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet.

Nun ist es so, dass das Kind auch eine Erwerbsminderungs-rente erhalten kann.
Häufig ist es dann in diesen Fällen so, dass die Familienkassen einen Anspruch auf Kindergeld ablehnen, wenn die finanziellen Mittel des erwachsenen behinderten Kindes den jeweils maßgeblichen Grundfreibetrag übersteigen. Im Jahre 2017 betrug dieser Grundfreibetrag 8.820 €.

Gerade im letzten Jahr gab es verstärkt Fälle, wo die Familienkasse den Anspruch auf Weiterzahlung des Kindergeldes bei behinderten Kindern geprüft hat. Häufig erfolgte eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit der Begründung, dass das Kind – trotz Vorliegen eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises und des dort eingetragenen Merkzeichen „H“ im Stande wäre, seinen Unterhalt selbst zu bestreiten.
Die Feststellung, ob im Einzelfall weiter ein Anspruch auf Kindergeld besteht, ist nicht immer einfach und für jedes Kind individuell zu treffen. Hierbei sind viele unterschiedliche Positionen zu berücksichtigen, die bei einer überschlägigen Berechnung durch die Familienkasse keine Rolle spielen.

Berücksichtigt wird bei der Berechnung durch die Familienkasse je nach dem Grad der Behinderung ein entsprechender Pauschbetrag. Dieser beträgt bei einem Grad der Behinderung von 100 und Zuerkennung des Merkzeichens „H“ für hilflos 3.700 €. Regelmäßig sind die Kosten jedoch wesentlich höher. Diese werden aber nur auf entsprechenden Einzelnachweis berücksichtigt.

Zu den Leistungen, die im Wege des Einzelnachweises zu berücksichtigen sind, gehören Leistungen der Eingliederungshilfe, wozu auch die Kosten für die Beschäftigung behinderter Menschen in einer Werkstatt für behinderte Menschen gehören.
Des Weiteren gehört der Pflegebedarf dazu, das heißt der Bezug von Pflegegeld.
Weiterer Mehrbedarf, der regelmäßig mit nicht unerheblichen Beträgen zu Buche schlägt, sind zum Beispiel

- behinderungsbedingte Aufwendungen für Operationen, Heilbehandlungen und Ärzte sowie Medikamente.

- persönliche Betreuungsleistungen der Eltern, die zum Beispiel die Beaufsichtigung des Kindes zu Hause oder bei Freizeitaktivitäten und Arztbesuchen betreffen, weil das behinderte Kind hierzu alleine nicht im Stande ist.

Hier wird für die Stunde ein Betrag von 9 € angesetzt.

Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser persönlichen Betreuungsleistungen ist aber in jedem Fall eine Bescheinigung des Amtsarztes oder des behandelnden Arztes, dass die Betreuungsleistungen unbedingt erforderlich sind. Hier gibt es eine entsprechende Bescheinigung bei der Familienkasse.

- Privatfahrten sind ebenfalls mit 0,30 € pro gefahrenen Kilometer zu berücksichtigen

Dies sind Fahrten zur Schule, zur Werkstatt für behinderte Menschen, zum Arzt, zu Therapiemaßnahmen oder zu Behörden.
Wenn das Kind außergewöhnlich gehbehindert ist (Merkzeichen „aG“), blind (Merkzeichen „BL“) oder hilflos (Merkzeichen „H“) können sämtliche durch ein Fahrtenbuch oder Aufzeichnungen belegte Kosten für Fahrten mit dem Kind, so auch Urlaubs-, Freizeit- oder Besuchsfahrten als behinderungsbedingter Mehrbedarf berücksichtigt werden.

Es zählen auch Aufwendungen für eine Begleitperson, die anlässlich einer Urlaubsreise für deren Fahrten, Unterbringung und Verpflegung entstehen als Mehrbedarf. Voraussetzung ist, dass im Schwerbehindertenausweis des Kindes das Merkzeichen „B“ eingetragen sein muss.

Dem gegenüber zu stellen sind die finanziellen Mittel des Kindes, hierzu zählt das Einkommen der Werkstatt für behinderte Menschen, Erwerbminderungsrenten, Pflegegeld.

Davon wiederum sind in Abzug zu bringen unvermeidbare Vorsorgeaufwendungen.

Wenn diese Mehrbedarfe tatsächlich berücksichtigt werden, wird man regelmäßig dahin kommen, dass weiterhin ein Anspruch auf Kindergeld besteht.

Eine Überprüfung der Entscheidung der Familienkasse lohnt sich.
Gern sind wir Ihnen hier behilflich.

Schulte Anwaltskanzlei
Antje Schmidt
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht


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