Sozialrecht: Keine Berücksichtigung eines Unterhaltstitels beim ALG II bei offensichtlichem Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 17.04.2018 – L 11 AS 1373/14 – entschieden, dass Behörden und Sozialgerichte einen bestehenden Unterhaltstitel nicht ungeprüft übernehmen müssen, wenn offensichtlich keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht.
In dem entschiedenen Fall hatte ein Hartz-IV-Empfänger geklagt, der sich im Rahmen einer notariellen Vereinbarung verpflichtet hatte, seiner Ehefrau nach der Trennung monatlich 1.000 € Unterhalt zu zahlen. Mit Erreichen des 60. Lebensjahres hatte er Anspruch auf eine Betriebsrente von rund 260 €/Monat, wobei diese Rente als Unterhaltszahlung direkt an seine getrenntlebende Ehefrau überwiesen wurde.
Das zuständige Jobcenter rechnete nun die Betriebsrente trotzdem als Einkommen bei ihm an und bewilligte ihm in der Folge geringere Leistungen. Dagegen wandte der Kläger ein, dass die Betriebsrente zur Erfüllung der notariell titulierten Unterhaltsverpflichtung direkt an seine Ehefrau gezahlt werde und nicht an ihn. Deshalb dürfe sie auch nicht als Einkommen bei ihm angerechnet werden.
Letztlich hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden, dass in dem besonderen Fall eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Klägers nicht besteht. Zwar sollen Behörden und Sozialgerichte grundsätzlich von eigenständigen Ermittlungen zum Unterhaltsanspruch entlastet werden und vorhandene Unterhaltstitel der Bedarfsberechnung zugrunde legen. Hintergrund ist, dass im Regelfall davon auszugehen ist, dass ein titulierter Unterhaltsanspruch auch besteht.
In § 11 b Abs. 1 Ziffer 7 SGB II ist konkret geregelt, dass vom Einkommen abzusetzen sind:

Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag.
Davon ist das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen abgewichen mit der Begründung, dass ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch im entschiedenen Fall schon nach Aktenlage offensichtlich nicht gegeben ist. Die Einnahmen des Klägers aus der Betriebsrente liegen schon weit unter dem Selbstbehalt. Unter Anrechnung der Betriebsrente hat der Kläger monatlich Leistungen in Höhe von ca. 565 € vom Jobcenter bezogen. Selbst ohne Anrechnung der Betriebsrente und hinzurechnen der Rente als Einkommen verfügte der Kläger lediglich über ca. 1.050 €.
Damit bestand offensichtlich keine Leistungsfähigkeit, mithin sei die Betriebsrente zu Recht als Einkommen anzurechnen.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in dem entschiedenen Fall die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen, da die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Jobcenter und Gerichte die Frage der gesetzlichen Unterhaltspflicht im Rahmen des § 11 b Abs. 1 S. 1 Nr. 7 SGB II überprüfen können, für grundsätzlich erachtet wurde.
Es ist davon auszugehen, dass sich das Bundessozialgericht mit diesem Fall noch befassen wird.

Schulte Anwaltskanzlei
Antje Schmidt
Fachanwältin für Sozialrecht


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