Versicherungsrecht: Parkplatzunfall und Rückwärtsfahren

Unsere Mandantin hatte die Absicht, mit ihrem Fahrzeug in die Innenstadt von Chemnitz zu fahren. Deswegen fuhr sie rückwärts mit ihrem Fahrzeug auf dem Parkplatz aus der Parkbox heraus und hielt das Fahrzeug an. Dies war jederzeit gefahrlos möglich, weil der gesamte rückwärtige Raum vollkommen frei war und sich keinerlei Gefahr auftrat, worüber sich die Mandantin ständig durch Orientierung versichert. Nunmehr stand das Schalten in den Vorwärtsgang an. Auf einmal gab es einen Schlag am Fahrzeug hinten rechts und ein entsprechendes Geräusch. Nachdem die Mandantin den Ausparkvorgang beendet hatte und nunmehr das Losfahren nach vorne anstand, hatte offensichtlich ein anderer Fahrzeugführer sein Fahrzeug aus einer gegenüberliegenden Parkbox rückwärts herausgefahren. Dieser hatte offensichtlich nicht den rückwärtigen Verkehr beobachtet, sich nicht nach hinten orientiert, so dass er gegen das stehende Fahrzeug der Mandantin fuhr.

Bei dieser Sachlage war die Haftungsfrage eindeutig, der Unfallgegner hatte für den Schaden einzustehen. Denn gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Hier wird der so genannte Anscheinsbeweis vom Gesetzgeber formuliert. Dieser bedeutet, dass grundsätzlich von einer Alleinhaftung des Rückwärtsfahrenden auszugehen ist, wenn sich beim Rückwärtsfahren eine Kollision ereignet. Diese Alleinhaftung ist nur dann nicht gegeben, wenn es dem Rückwärtsfahrenden gelingt, den sogenannten Vollbeweis für das Gegenteil zu führen. Das ist regelmäßig nicht möglich.

Trotz dieser eindeutigen Sach- und Rechtslage wollte der gegnerische Haftpflichtversicherer nur 50 % des Schadens übernehmen. Dies mit der Behauptung, beide Fahrzeuge seien rückwärts gefahren, gegen beide Fahrzeugführer spreche der Anscheinsbeweis.

Hier hat der Haftpflichtversicherer nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes beachtet, wie z.B. nachzulesen im Urteil des BGH vom 11.10.2016, Az. VI ZR 66/16. Danach liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufes regelmäßig nicht mehr vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von 2 Fahrzeugen aus Parkenbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugfahrer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere – Rückwärtsfahrende – Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.

Mit dieser Rechtsprechung und Argumentation ließ sich nunmehr der gegnerische Haftpflichtversicherer auf die Übernahme des Schadens im Umfang von 80 % ein. Angesichts der Sach- und Rechtslage war dies auch nicht korrekt. Zwischenzeitlich hatten wir aber der Mandantin angeraten, die Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen. Der noch verbleibende Rückstufungsschaden über mehrere Jahre belief sich nur noch auf rund 36 €. Für diesen Betrag wollte die Mandantin aber keinen Prozess führen, der möglicherweise mehrere tausend Euro kostet.

Insgesamt also ein gutes Ergebnis auch dank der neuen, zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

Schulte Anwaltskanzlei
Thomas Schulte LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt


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